Lange habe ich meine Emotionen unterteilt: In die, die ich gut fand und die, die ich nicht wollte. Gar nicht. Ich wollte nicht traurig sein, nicht wütend und schon gar nicht ängstlich. Dass aber auch die vermeintlich schlechten Gefühle wichtig sind und es nichts bringt, sie zu unterdrücken, das habe ich schmerzlich lernen müssen. Was passieren kann, wenn du deine „schlechten“ Gefühle nicht wahrnimmst oder nicht ernst nimmst, erzähle ich dir in diesem Artikel. Denn einen guten Umgang mit Gefühlen kann man lernen!
Damals, als ich bestimmte Gefühle einfach ausblendete, waren meine bevorzugten Gefühle Freude und Liebe. Aus Angst vor Verletzung begab ich mich in die mir einzig logisch erscheinende Beziehung: Mit einem einzigen Menschen. Mit diesem Menschen wollte ich nur Freude und Liebe empfinden. Weitere Personen waren mir zu viel.
Diese eine Person war mein damaliger Ehemann. Wir igelten uns ein, brauchten keinen anderen und gerieten dadurch in eine fast symbiotische Beziehung. Wir teilten einfach alles. Dass das nicht unbedingt gut war, hätte mir damals zwar jemand erklären können, aber geglaubt hätte ich es nicht. Wir wurden beneidet um unsere nach außen so harmonisch wirkende Ehe. Auch uns selbst erschien alles harmonisch. Wir brauchten nur uns, um glücklich zu sein. Doch natürlich kam es anders.
Der Umgang mit Gefühlen und Emotionen wird gelernt
Emotionen haben in meinem Leben schon immer eine besonders große Rolle gespielt. Selbstverständlich haben wir alle dieselben Emotionen, aber ich empfand sie schon als Kind besonders prägend. Ich kam bereits angstgefüllt auf die Welt und hatte kein besonders großes Vertrauen in fremde Dinge, Orte und Personen. Ich lernte im Laufe meines Lebens, dass es besser war, nicht zu sehr zu zeigen, wenn die Angst groß oder wenn ich unsicher wurde. Die Unterteilung in gut und schlecht begann. Einen guten Umgang mit Gefühlen hatte ich lange Zeit nicht.
Ein „braves“ Kind war ich, wenn ich nicht nur getan habe, was mir meine Eltern sagten, sondern auch noch ruhig und freundlich blieb. Jeder von uns hat seine ganz eigenen Prägungen aus der Kindheit. Wir kommen mit einer bestimmten persönlichen Struktur auf die Welt, aber dennoch ist die Kindheit einfach prägend. Wut war absolut tabu, Trauer nur im Geheimen okay und meine Angst wurde mit braver Zurückhaltung verwechselt – oder wurde sie sogar bewusst gefördert? Jedenfalls wurde mir nicht beigebracht, wie ein gesunder Umgang mit Gefühlen aussieht.
Beziehungen sind Systeme – jeder spielt seine Rolle
Meine geheime Kraft: „Fürsorge für andere“. Die lernten eher die Tiere kennen, da sie immer nett zu mir waren und mich einfach nahmen wie ich war. Meinen damaligen Mann lernte ich kennen, weil er meine Fürsorge brauchte. Er war in einer körperlich und seelisch katastrophalen Verfassung und ich half ihm da raus. Wir zogen schnell gemeinsam in eine kleine Wohnung und ich wehrte für ihn alle schädlichen Einflüsse von außen ab. Er gesundete, aber ich vergaß dabei mich selbst.
Viele viele Jahre lebten wir in dieser Symbiose: Ich half ihm, er half mir. Wir hatten ein wirklich schönes gemeinsames Leben. Kinder kamen für uns damals nicht in Frage.
Doch irgendwann kam dieser Punkt, an dem ich keine Angst hatte, sondern wütend wurde. Ich hatte zeitweise das Gefühl, dass die Wut sich als Schutz vor die Angst stellt. Wie genau die Zusammenhänge sind und was sich im Gehirn dabei abspielt, habe ich erst viel später erfahren. Meine Wut half mir dabei, besser klarzukommen. Doch wie sieht ein guter Umgang mit Gefühlen wie Wut und Angst nun aus? Den müssen wir lernen.
Nach und nach gab es dann weitere Veränderungen und ich erkannte, dass ich raus musste. Raus aus dem engen Rahmen, den ich mir gesteckt hatte. Raus, um zu überleben. Es war sehr sicher, in der Freizeit nur mit einem Menschen zu tun zu haben oder zumindest kaum etwas ohne ihn zu unternehmen, aber gesund war es nicht.
Und so begann der Kampf raus aus einer harmonischen, glücklichen Beziehung, die mir plötzlich die Luft zum Atmen nahm. Anfangs versuchte ich ihn mitzunehmen, aber er hatte seine eigene Vergangenheit, die das nicht zuließ.
Emotionen zulassen: Schmerzlich, aber heilsam
Es dauerte etwa 2 Jahre, bis ich letztendlich alleine weinend in meiner eigenen Wohnung saß. Ich weinte jeden Tag und hatte furchtbare Angst. Alles zerbröselte.
Aber es gab Menschen, die mir halfen. Vorher, in der symbiotischen Beziehung, waren sie mir gar nicht aufgefallen. Und ich merkte: Es war gut, nun alle Emotionen zuzulassen. Die Trauer, die Wut, die Angst, die Freude, die Verachtung, die Liebe, die Schuld, die Scham, der Ärger…all das durfte sein. Und ich lernte: Ich kann etwas ändern an meinem Umgang mit Gefühlen, die ich früher einfach weggeschoben hatte.
Ich ging nicht sofort gestärkt raus aus der Beziehung, aber im Laufe der Jahre erkannte ich, wie wichtig all diese Emotionen sind. Und es gibt keine guten und schlechten Emotionen, es gibt die, die uns angenehm sind und die, die uns unangenehm sind.
Ohne Angst würde die Menschheit nicht existieren, weil wir damals alle dem Säbelzahntiger zum Opfer gefallen wären. Für jedes Gefühl gibt es für jeden Menschen seine ganz eigene Range, seinen eigenen Bereich, in dem er sich wohl fühlt. Wären alle erstarrt vor Angst, wäre es auch nicht besser ausgegangen. Wichtig sind aber alle Emotionen, ob wir sie in dem Moment gerade angenehm oder unangenehm empfinden. Sie wollen alle gesehen werden. Lernen wir hinzuschauen.
Gibt es Emotionen, die du (vielleicht vorschnell) als schlecht kategorisiert hast? Und möchtest du daran arbeiten, die wichtige Funktion dieser Emotionen zu entdecken und anzunehmen?